Ein modernes Märchen

 

 

Es war einmal …

 

eine Frau, weit jenseits der Vierzig.

Vom Leben verdonnert, nach über 20-jähriger Berufsabstinenz, wieder selber für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

 

Leider ist es nach so langer Zeit schwer möglich beruflich wieder Fuß zu fassen.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass alle ihre Versuche im Sande verliefen.

Dies war jedoch nicht ihren Bemühungen zuzuschreiben, sondern anderen äußeren Faktoren.

 

Doch egal was ihr widerfuhr,  sie verlor nicht den Mut.

Und wenn sie an der Bushaltestelle stand, dann schielte sie immer auf ein Schild an der nahe gelegenen Hauswand. Dies wies auf ein dort ansässiges Ingenieur-Büro hin.

 

Jedes Mal durchfuhr sie ein kleiner Seufzer und sie dachte wehmütig an die Zeit ihrer zweiten Ausbildung. Leider hatte sie es danach nie geschafft in dem Beruf als technische Zeichnerin zu arbeiten. Und inzwischen fehlten ihr die notwendigen Voraussetzungen, wie z.B. das Zeichnen mit einem CAD-Programm am Computer.

Somit wäre eine solche Tätigkeit für sie unmöglich.

Doch was nutzt all das Wissen um diese Unmöglichkeit, wenn einen das Schild magisch anzieht und man das Gefühl hat mit ihm verbunden zu sein.

 

Die Zeit ging ins Land, und unsere Lady lebte, mehr schlecht als recht, von den Mitteln, die ihr durch die öffentliche Hand zur Verfügung gestellt wurden.

Sie las fleißig die Stellenanzeigen in der Zeitung und bewarb sich auf alles was einigermaßen zu ihrem Profil passte.

Da las sie eines Tages eine besondere Anzeige. Aufgegeben von dem Ingenieur-Büro, dessen Schild sie immer nötigte es wieder und wieder zu lesen.

Ihr Herz stolperte und sie wurde ganz unruhig. Doch gleichzeitig ließ sie der Text der Anzeige resignieren. Gesucht wurde ein technischer Zeichner oder sogar ein Techniker der zwingend über CAD-Kenntnisse verfügen musste. Traurig schaute sie aus dem Fenster. Sie wollte doch so gerne, aber wie, wenn es am Grundwissen hapert?

 

In einem Kurs der Volkshochschule hatte man zwar immer wieder gesagt es wäre sinnvoll auch mal den geraden Weg zu verlassen und um die Ecke zu gehen. Aber die Ecken die da im Weg waren glichen eher einem Labyrinth.

Trotzdem, es ließ ihr keine Ruhe.

Sie suchte in kurzer Zeit ihre Unterlagen zusammen und machte sich auf den Weg. Wenigstens einmal wollte sie auch etwas völlig unsinniges tun. Denn wenn sie es nicht tat, würde sie der Gedanke immer wieder quälen.

 

Mutig trat sie an die Türe des Büros und klingelte – doch niemand öffnete.

War das Schicksal doch gegen sie?

Entmutigt machte sie sich wieder auf den kurzen Heimweg.

Wenn sie ihre Lage und die damit verbundene Idee nicht persönlich vorbringen konnte, dann war es ja noch schwerer dafür Gehör zu finden.

Alles hadern nutzte aber nichts. Sie musste den Kontakt über eine E-Mail aufnehmen. Möglichst kurz, aber doch prägnant schilderte sie ihren Vorschlag.

Statt eine Bewerbung auf die angebotene Stelle zu schicken, bat sie um eine Anstellung in eine Art Lehrverhältnis. Dabei wies sie noch auf die bereits erfolgte Ausbildung hin, die im beigefügten Lebenslauf nachzulesen war.

Ein Klick, und die Mail war abgeschickt. Nun war warten angesagt.

Mit jedem Tag der verging und keine Antwort kam geriet die Mail in den Hintergrund.

Die Gedanken daran waren mehr und mehr traurig gestimmt.

Doch sie hatte den Mut aufgebracht und es versucht und brauchte sich daher keine Vorwürfe machen.

 

Es waren schon Wochen ins Land gezogen, als eines Nachmittags das Telefon klingelte, und der Ingenieur am Apparat war. Er bat sie tatsächlich zu einem persönlichen Gespräch, am nächsten Tag ins Büro. Das war etwas an das sie nicht mehr geglaubt hatte.

 

Dieses Gespräch verlief äußerst positiv. Er wollte ihr wirklich eine Chance geben.

Auch wenn der Einstieg mehr als schwierig werden würde, sie nahm die Chance an.

Denn zu verlieren hatte sie ja nichts.

 

Heute war der erste reguläre Arbeitstag im Rahmen eines Praktikums.

Und wenn nach zwei Monaten keiner von beiden was zu beklagen hat, dann steht einer Anstellung mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag nichts mehr im Wege.

Und das könnte durchaus ein Arbeitsverhältnis bis zur Rente werden.